Zu Unrecht vergessene Platten: Bay City Rollers, „Wouldn’t you like it?“ (1975)

Das Klappcover von „Wouldn’t you like it?“.

Die Bay City Rollers trugen keine Unterhosen. Die fünf wetterfesten Schotten trugen ihre merkwürdigen karierten Strampelanzüge auf nackter Haut. Und natürlich den Tufty. Eine Frisur, die sehr nach statischer Aufladung aussah. Aus irgendeinem Grund fanden vor allem junge Mädchen das Anfang der Siebziger wahnsinnig sexy und kreischten bis zur Ohnmacht beim Anblick der Rollers. Aber Ende der Siebziger Jahre verschwand die Band in der Versenkung. Und dort blieb sie bis heute, trotz verschiedener Retrowellen.
Wenn man etwas sucht, was von den Bay City Rollers geblieben ist, dann dürfte das ihr Beitrag zu „Blitzkrieg Bop“ von den Ramones sein. Ihr Hit „Saturday Night“ war die nämlich die Inspirationsquelle. “There was a big hit by the Bay City Rollers at the time called Saturday Night, which was a chant-type song,” erzählt der Ramones-Schlagzeuger Tommy Ramone. “So I thought it would be fun to do for the Ramones too. And somehow I came up with ‘Hey! Ho! Let’s go!’ Und Linda Ramone berichtet: „Damals hatten die Ramones das Gefühl, sie müssten sich mit den Bay City Rollers messen. Für die Bay City Rollers gab es einen bestimmten Fangesang. Das wollten die Ramones auch – ihr Fangesang wurde „Hey Ho! Let’s Go!“
Ich bin 1972 geboren. Aber ich erinnere mich sehr lebhaft an die Bay City Rollers. Eine Zeit lang waren sie praktisch Familienmitglieder. Im ersten Kindergartenjahr trug ich selber einen Ganzkörperanzug, an dessen Hosenbeine eine Borte mit der Aufschrift „Roller 77“ angenäht war. Wenn eine neue LP oder Single der Rollers in die Plattenläden kam, dann kauften meine beiden älteren Schwestern sie sofort. Und dann spielten sie den Song den ganzen lieben langen Tag. Ich war Kindergartenkind, sie waren schon in der Sekundarstufe. Die beiden fanden es entzückend, wenn ich in Fantasie-Englisch die Lieder ihrer Helden nachsang. Die Wände in ihrem gemeinsamen Zimmer waren voller Bay City Rollers Poster aus der Bravo. Der komplette Starschnitt.

Die Rollers in Lebensgröße: Der Sänger Les McKeown, der Gitarrist Woody Wood, der Gitarrist Eric Faulkner, an Bass und Schlagzeug die beiden Bandgründer und Brüder Alan und Derek Longmuir. (Auf den Fotos ist jeweils eine meiner Schwestern dabei.)

Das Zimmer meiner Schwestern. Das Pferd Bessy, David Cassidy und ich.

Seit 1965 hatten die beiden Edingburgher verschiedene Bands gegründet. Der steile Aufstieg ihrer Band Bay City Rollers begann 1972, als sie mit dem Titel „Mañana“ beim „Grand Prix RTL International“ den ersten Platz belegten.
Die Rollers lösten die sogenannte „Rollermania“ aus. Bei ihren Auftritten kam es zu Tumulten wie einst bei den Beatles. Und wie die Beatles die Stones, so hatten auch die Rollers Konkurrenten, nämlich die Jungs von Sweet.
In Simon Reynolds Standardwerk „Glam“ werden die Bay City Rollers nicht ein einziges Mal erwähnt. Ihr Manager Tam Patton verkaufte seine Band als saubere und liebe Bubenbande, die am liebsten Milch trank. Ihre Karriere fiel in die Etablierungsphase der Popkultur. Pop wurde normal. Meine Eltern waren zur Nazi-Zeit aufgewachsen. Elvis und die Bealtes waren für sie nicht „ganz normal“. Aber schon ihre Kinder hängten sich lebensgroße Bilder von fünf netten, schottischen Buben ins Zimmer und hörten deren nette Lieder. Dem Pop-Konfliktpotential der Sechziger war eine kommerziellen Etablierung gewichen. Und die Bay City Rollers gehörten Anfang der Siebziger zu den ersten „normalen“ Bands. Sie waren Pop-Normalismus. Meine Eltern gehörten zu den ersten Erwachsenen, die ihre Kinder mit der transnationalen Popmusik aufwachsen sahen. Sie waren die erste Elterngeneration, die den Jugendlichen ganz selbstverständlich ihre Jugendkultur zugestanden. Das war keine Rebellion mehr. Es gehörte dazu. Meine Mutter sagte oft, die beiden hätten einen „Bay-City-Rollers-Tick“, aber das gehe vorbei. Sie selber hörte gerne Marschmusik und Schlager aus den Fünfziger und Sechziger Jahren. Später stieg sie auf volkstümlichen Schlager um.
„Wouldn’t you like it?“ war das dritte Album der Rollers. Es erschien 1975. Den großen Durchbruch in Deutschland hatten sie da noch nicht geschafft. Die Platte erreichte Platz 30 in den Albumcharts. In England dagegen rückten bis auf Platz 3 vor. Nach ihren Platten „Rollin‘ “(1974) und „Once upon a Star“ (1975), stellte „Wouldn’t you like it“ einen künstlerischen Fortschritt dar. Elf der zwölf Lieder hatten die Bandkomponisten Faulkner/Wood geschrieben. Nur der Hit “Give a little Love” war eine Fremdkomposition.

Über die Musik der Bay City Rollers wurde oft gespottet. Sie wurde als Teenie-Glam-Rock abgetan. Und man muss es zugeben: Es stimmt. Es ist Teenie-Glam-Rock. Aber sehr gut gelaunter und handwerklich gut gemachter Teenie-Glam. Schlichte, gradlinige Songs.
In den Achtziger Jahren waren meine Schwestern längst ausgezogen. Aber die Platten standen immer noch bei uns im Haus herum. Jetzt war ich der Teenager. In den Achtzigern war der Mainstreampop dazu übergegangen, subkulturelle Codes zu akkumulieren. Gleichzeitig begann auch die Historisierung und Archivierung des Pop. Ich hörte vor allem die Beatles. Aber ich fand auch David Bowie gut. Mein musikalisches Umfeld bestand in der Charts-Musik der Achtziger. Madonna, Moti Special, Sandra, Modern Talking, Falco, Phil Collins …
Mir kam es vor, als seien die Bay City Rollers aus einem anderen Jahrhundert. Sie waren einfach verschwunden. Keiner wollte sie je gehört haben. Niemand war je Fan gewesen. Sie wurden nicht mehr im Radio gespielt. Keiner mehr sprach von ihnen. Und das blieb auch in den Neunzigern so. Andere Bands kamen zurück. Die Bay City Rollers blieben ein Tabu.
Ich hörte mir die Platten manchmal an. Denn schließlich erinnerten sie mich an meine Kindheit, an den langen heißen Sommer 1977. An Zelten im Garten und Schlauchbootfahren auf dem Baggersee.
Am Anfang ihrer Karriere spielten die Bay City Rollers tatsächlich Glam-Rock-Light. Dann wurden die Songs vielfältiger, mit deutlichen Disco-Einflüssen. Sie coverten sogar „Rebel Rebel“ von David Bowie. Es war mir lange peinlich, aber ich finde bis heute die Bay City Rollers Version besser als das Original. Wegen der Leadgitarre, die bei Bowie fehlt. Und mir ist Les McKeowns Stimme angenehmer.

Es ist ein ziemlich dünnes und hohes Stimmchen, das sich so anhört, als laufe das Band einen Tick zu schnell. So wie bei Cindy Lauper oder der frühen Madonna. Aber McKeowns Stimmführung ist absolut exakt. Jeder Ton sitzt.
Im Plattenregal meiner Schwestern stand auch David Cassidy, mit dem ich gar nichts anfangen konnte. Dann gab es Leif Garrett und seine aufgeblasene und weichgespülte Version von „Surfin‘ USA“. Dass ausgerechnet ein Solist eine Harmonie-Gesangs-Nummer coverte wollte mir nicht in Kopf. Und dann waren da die Osmonds. Die hatten unglaublich tolle Lieder wie „Crazy Horses“ oder „We’re having a Party“ und dann wieder musikalischen Durchschiss wie „I’m leaving it all up to you“. Es gab Smokey. Chris Normans leidende Stimme ging mir tierisch auf den Senkel. Und die Rubbets mit ihrem Hit „Sugar Baby Love“ hörten sich an, wie ins Zuckerfass gefallene Beach Boys. Außer der Abba-Platte „Arrival“ war das alles musikalisch Popcorn. Das Durchhören dieser Platten empfand ich als archäologische Ausgrabungen in einer versunkenen Welt. 1985 waren die Siebziger das Atlantis der Popmusikgeschichte, das Bermudadreieck der vergessenen Teenie-Stars. Bis heute haben weder Leif Garrett noch David Cassidy in die Playlists der Radiosender zurückgefunden. Dort läuft in Heavy Rotation die Musik meiner Jugend. Wham, Boy George, Spandau Ballett und die ganze 80er Party. Die Teenie-Musik der 70er ist fast ausgelöscht.
Auch haptisch waren die Platten der Siebziger anders. Dicker irgendwie. Sie hatten Plattenlabels, die ich nicht kannte. An den Bay City Rollers Platten mochte ich das silberne Bell-Records-Label. Das war viel schöner, als das RAK-Segelschiff bei Smokey. Ich konnte es als Dreizehnjähriger nicht fassen. So viele Menschen hatten diese Musik gekauft. Und jetzt war sie völlig bedeutungslos.
Auf „Wouldnt you like it?“ gibt es keine einzige neue Idee, keine Originalität, keine Experimente, keine Politik, keine mehrdimensionalen Texte. Es gibt nur das reine Hier und Jetzt. Alles ist genau das, was es ist. Und es will auch gar nicht mehr sein. Fast schon abstrakte Kunst. Produziert wurde das Album von Phil Wainman, der sich später als Produzent der Boomtown Rats profilierte. Vor allem mit ihrem Hit „I don’t like Mondays“.
Es gibt fünf Kategorien von Songs auf dem Album. Da wäre, erstens, reiner Glam-Stampfrock („Wouldn’t you like it?“, I only wanna dance with you“). Der Titelsong versprüht eine derartige Lebensfreude, dass man bei jedem Anhören aufspringen und tanzen will. Dann gibt es, zweitens, die Ballade („Give a little Love“, „Shanghhai’d in Love”), es gibt, viertens, die Soul-Disco-Songs („Don’t Stop the Music“) und sogar ein bisschen West-Coast-Soft-Rock (“Eagles Fly”). Und fünftens sind da noch zwei Songs, die sich sehr stark an die Beatles anlehnen. „Here Comes that Feeling again“, das Bassist Alan Longmuir singt und dabei sehr sympathisch um jeden einzelnen Ton ringt. In getragenem Tempo geht es um einen Menschen, der aus der Ferne ein Mädchen anhimmelt, sich aber nicht traut, mit ihr in Kontakt zu treten. „When you see her there / do you stop and stare / …” Teenager-Alltag. Zumindest mein Teenager-Alltag. Das Lied wird von wunderschönen Flötenstimmen begleitet. Zudem gibt es eine Streicherbridge, die sich vor keiner Streicherbridge verstecken muss. Ein großartiges Lied. Das zweite Beatles-Lied heißt „Lovley to see you“. Es klingt, als sei es der Dur-lastige kleine Bruder von Paul McCartneys „Fixing a Hole“, aber beschleunigt. Ein flottes Streicherarrangement verpasst der ganzen Angelegenheit Schwung! Im Grunde sind die beiden Songs die Großväter von „Tonight“ von den New Kids on the Block, nur wesentlich detailverliebter und handwerklich ausgefeilter.
Das Erstaunliche ist, dass die Platte immer noch funktioniert. Zumindest für mich. Da spinnt meine Hörbiographie ihre dünnen Fäden bis in die Gegenwart.
Meine frühkindliche Sozialisation mit den Bay City Rollers hat mich in den Achtzigern für die Sounds und Styles der Siebziger empfänglich gemacht. Als ich im Readers Digest Jugendbuch zum ersten Mal ein Foto von David Bowies Ziggy Stardust Outfit sah, dachte ich, he, der macht voll die Bay City Rollers nach. Und als ich dann tatsächlich die Stardust-Platte hörte, dachte ich wieder an die Bay City Rollers. Dass das mit der Beeinflussung genau anders herum war, merkte ich dann aber ziemlich schnell.
Ab 1987 hatte ich eine T.Rex-Phase, die ich ebenfalls auf die Beschallung durch meine Schwestern zurückführe. So fand ich später direkt Anschluss an die Sex Pistols und Oasis.
Die Bay City Rollers begleiten mich durch meine ganzen frühen Kindheitserinnerungen und durch meinen ganzen Musikgeschmack hindurch. Endlos lange Sommertage mit „Money Honey“ oder „You make me believe in Magic“.
Zum Hören von Popmusik gehört immer auch der Gedanke, dass man damit einer Gemeinschaft anderer Hörer angehört. Der Hit erzeugt die Aura der Popmusik. Dann muss noch ein Mythos dazu kommen, der ihr einen „Ewigkeitsstatus“ verleiht. Die Hits der Rollers sind vergessen. Es gibt keine Gemeinschaft mehr.
Ihren größten Erfolg landeten die Rollers 1976 mit der Nachfolge-Platte von „Wouldn’t you like it?“. Sie hieß “Dedication”, war aber längst nicht so spritzig wie ihr Vorgänger. In Deutschland erreichte sie Platz 5 der LP-Charts, in Großbritannien Platz 4. Die Platte „It’s a game“ wurde 1977 nur noch ein mäßiger Erfolg. Ab 1978 wurden die Bay City Rollers von Punk und Disco verdrängt. Die schöne Platte „Strangers in the Wind“ versackte im Keller der Charts. Und mit ihr die Band gleich mit.

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2 Antworten zu Zu Unrecht vergessene Platten: Bay City Rollers, „Wouldn’t you like it?“ (1975)

  1. Josef Uhlenbruch schreibt:

    Sorry, aber die Leadvocals bei Rebel Rebel werden von Eric Faulkner gesungen.
    LG vom wohl größten männlichen Rollers-Fan aller Zeiten.

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