Zu Gast bei Ernst Jünger, Teil 5

FotosAm 28. März 2006 war ich in Wilflingen im Ernst-Jünger-Haus. Ich habe den Ort angeschaut, den Friedhof, die Besuchergruppe um Herrn Schubert kennen gelernt, das Friedrich-Georg-Jünger-Zimmer gesehen und natürlich die Käfer. Jetzt geht’s weiter.

Und wieder rettet uns Frau Miller. „Gehen wir doch mal weiter“, sagt sie betont sachlich. Wir betreten einen Raum, der von oben bis unten voller Bücher ist. Jüngers Bibliothek. Ich entdecke, dass ich die gleiche Ausgabe von „Der Untergang des Abendlandes“ und den „Gedanken“ von Oswald Spengler habe. Auf dem Fenstersims stehen gerahmte Fotografien. Die Galerie der toten Freunde. Jünger hat alle überlebt. Eines der Fotos hebt Frau Miller besonders hervor, es ist das Foto des Mannes, der den verwundeten Jünger, wie in den „Stahlgewittern“ beschrieben, vom Schlachtfeld getragen hat und dabei unter ihm erschossen wurde. Endlich, so habe ich mir das vorgestellt bei Ernst Jünger. Bücher, flauschige Lesesessel und Kriegsgeschichten.
Oswald SpenglerDer nächste Raum ist Jüngers Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch liegt eine Kladde mit den letzten Eintragungen Jüngers. Gestochen präzise Handschrift. Die Lupen zum Käfer angucken und lesen, ein entomologisches Nachschlagewerk. Und auf einem kleinen Schränkchen die Hauptattraktion des Jüngerhauses. Der Stahlhelm mit dem Loch drin. Der Stahlhelm, der Jünger das Leben gerettet hat. Vor Jahren habe ich mal in der Landesschau gesehen, wie Ernst Jünger das erzählt hat. Das Loch stammt von einem Splitter, der am Helm abgeprallt ist. Ich mache ein Foto. Und gleich noch eines.
An der Wand hängt noch ein Bild von Manfred von Richthofen, dem Roten Baron. Ein Autogramm oder so etwas. Auf einem anderen Schrank steht die Sanduhrsammlung. Und auch hier komplette Vergrustung.Der Stahlhelm
Frau Schubert beugt sich über den Helm. „Ja, der hat vieles zu verarbeiten gehabt, der hat viel mitgemacht!“ Die Brille tanzt. Inzwischen hat nämlich Frau Miller von Ernstels Tod in Carrara, Alexanders Selbstmord, und Gerta Jüngers frühem Tod erzählt. Dann hat sie von ihrer Reise auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges erzählt und wie beeindruckt sie davon war.
Sanduhren
Seither herrscht in der Gruppe Schubert ein mantrisches Gemurmel „Viel mitgemacht, viel zu verarbeiten, viel mitgemacht, viel …“. Oh, diese unsäglichen in den Alltag eingedrungenen psychoanalytischen Weisheiten, denke ich so vor mich hin, während wir Jüngers Schlafzimmer betreten. Blumige siebziger Jahre Vorhänge, eine schlichte Pritsche, über der ein kleines Bücherregal angebracht ist. In Jüngers Biografie hatte ich ein Zitat aus „Siebzig verweht“ gelesen, in dem Jünger erzählt, er lese zum Einschlafen Anekdoten rund um Wilhelm II. Und tatsächlich, auf seinem Nachttisch liegt das Buch!
BettFrau Miller erzählt inzwischen wie Kohl und Mitterand kamen. Wie Jünger die Kleber Post in Saulgau habe unterstützen wollen und sie dann trotz Kohl, Herzog und Mitterand Pleite gegangen sei. Und wie er dann doch noch gestorben sei. Zuerst wurde er immer schwächer. „Wie bei den alten Leuten halt immer! Zu wenig getrunken!“ heult Frau Miller auf und flattert steif mit den Armen dazu. Die Gruppe Schubert nickt betreten. Kennen sie das etwa schon von sich selber? Jünger habe Haltung bewahrt bis zum Schluss, flüstert Frau Miller, und Frau Schubert ergänzt, „preußisches Soldatentum“ und Herr Schubert nickt über seine überkreuzten Arme hinweg. „Im Krankenhaus haben sie ihn an einen Tropf angeschlossen und dann ging’s ihm wieder gut! Aber dann, plötzlich… Seine Frau war ja bei ihm.“ Frau Miller schluckt. „Es ist schon schwer gewesen.“ Wir machen eine Art Gedenkminute.
Aber dann hält es die Bekannte der Schuberts nicht mehr aus: „In welchem Verhältnis haben sie denn eigentlich zu ihm gestanden?“ Sie sei, erklärt Frau Miller nüchtern, seit 1990 im Hause tätig gewesen. Als Mädchen für alles.
Tor zur Welt
Wir gehen zurück in den Käferschrankflur. Frau Miller lässt überall das Licht brennen, weil sie uns nachher noch etwas zeigen will. Wir überqueren den Flur und betreten das Wohnzimmer. Hier steht Ernst Jüngers Fernseher. Davon mache ich ein Foto. Ein relativ modernes und großes Gerät von Saba. Stilvoll in Schwarz. Auch dieser Raum ist voller Bücher. Eine Büste von Ernst Jünger steht neben der Sitzgruppe, die auf den Fernseher ausgerichtet ist. Leder, braun. Ein Schrank steht darin, der Geschenke enthält, die Jünger im Laufe der Zeit von Besuchern bekommen hat. Frau Schubert nimmt dies und jenes in die Hand und ich schäme mich ein bisschen für sie, während ich meine Fernseherfotos mache. Sie fragt, ob viel gestohlen werde, während sie eine kleine Porzellanvase in den Händen wiegt und dann zögerlich zum Schrank zurück stellt. „Sehr oft“, antwortet Frau Miller mit strengem Blick auf die Vase aus dem Türrahmen zum nächsten Raum heraus. Dieser Raum ist langweilig. Er ist voller grauer Kästen, in die Jüngers zweite Frau die Post sortiert hat.
Wir verlassen den Raum. Herr Schubert nuschelt irgendwas mit Frau Miller. Sie spricht von der SBZ und Herr Miller raunt ihr zu: „Gut, dass auch sie SBZ sagen und nicht die falsche Bezeichnung benutzen.“
Dann entdecke ich, warum Frau Miller das Licht angelassen hat. Vom Fernsehzimmer aus kann man kerzengerade durch die Raumfluchten in Jüngers Arbeitszimmer gucken. Wie ihm Goethehaus in Weimar. Auch davon Mache ich ein Foto.
Wie bei Goethe
Die Gruppe Schubert wird unruhig. Es ist zehn vor Elf. Wir steigen wieder die Treppe hinunter. Unten gibt es noch einen üblichen Museumsraum mit einem Glaskaten, in dem die Erstausgaben von Jüngers Bücher liegen. Auch der Pour le Merite, der so neu aussieht, als käme er soeben aus der Ordensfabrik. Ich gehe in die Knie und starre den Orden an. Daneben die Verleihungsurkunde, die im Anhang von den Stahlgewittern abgedruckt ist. Es ist unglaublich.
Die Gruppe Schubert verabschiedet sich und stolpert zum Baron hinüber. Mit Genugtuung sehe ich, wie die Herren mit ihren Slippern und die Damen mit ihren beigen Stöckelschühchen im nassen Rasenstreifen einsinken. Dann, endlich, wühle ich in den Büchern. Ich kaufe mir „Götter und Zahlen / Philemon und Baucis“ ein schmaler Band mit einem Hand schmeichelnden Einband, den man dauernd streicheln möchte und „Minimum / Maximum“, das empfiehlt mir Frau Miller, weil ich erzählt habe, dass ich den „Arbeiter“ gelesen habe. Jünger habe das Buch nicht verändern wollen, andererseits habe er aber auch das Gefühl gehabt er müsse noch einmal etwas dazu sagen. Ich zahle und sage Frau Miller, dass es mir sehr gut gefallen hat. Sie meint, ich solle mich beeilen und auch noch das Schloss besichtigen. Und sie guckt mich wieder starr und verständnislos an, als ich ablehne.
Hochzufrieden schlendere ich durch den Regen zum Auto zurück. Das wichtigste habe ich gesehen. Den Stahlhelm. Den Stahlhelm.

Eine Fortsetzung folgt noch!

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